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Bundestag Nr. 1356 - Kritik an Entwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt

hib - heute im bundestag Nr. 1356
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mo., 7. Dezember 2020, Redaktionsschluss: 16.42 Uhr
1.        Unterstützung von Solo-Selbstständigen über Hartz IV
Petitionen/Ausschuss

2.        Kritik an Entwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt
Recht und Verbraucherschutz/Anhörung



01. Unterstützung von Solo-Selbstständigen über Hartz IV
Petitionen/Ausschuss

Berlin: (hib/HAU) Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Thomas Bareiß (CDU), hat die Entscheidung verteidigt, coronabedingte Einnahmeausfälle bei Solo-Selbstständigen über die Grundsicherung (Hartz IV) auszugleichen. Die Bundesregierung habe die Solo-Selbstständigen von Beginn der Krise an im Blick gehabt, sagte er während einer öffentlichen Anhörung des Petitionsausschusses am Montag. So sei eine schnelle Abdeckung der fixen Kosten durch die klar und deutlich kommunizierte Soforthilfe und die folgende Überbrückungshilfe ermöglicht worden. Was die Frage der privaten Lebenshaltungskosten angeht, so habe sich die Regierung bewusst für die Grundsicherung entschieden, "um zielgenau die Lebensumstände adressieren zu können", sagte Bareiß. Der Zugang zur Grundsicherung sei relativ einfach gestaltet worden. "Wir haben die Vermögensprüfung entfallen lassen", so der Staatssekretär. Sie finde nur bei "größeren Vermögensbeständen" ab 60.000 Euro statt. Die Altersvorsorge, Immobilien, das Auto oder Arbeitsmaterialien seien nicht in die Vermögensüberprüfung einbezogen worden.

Kritik an diesem Vorgehen übte Andreas Lutz vom Verband der Gründer und Selbstständigen (VGSD). Er hatte in seiner öffentlichen Petition, die mehr als 58.000 Unterstützer gefunden hat, bemängelt, dass die Corona-Hilfen "trotz guter Absichten" nicht ankämen. "Die Soforthilfen müssen verlängert, rechtssicher ausgestaltet und neben laufenden Betriebskosten auch die Lebenshaltung, Miete und Krankenversicherung als notwendige Ausgaben anerkannt werden", verlangte der Petent.

Mit der angedachten Unterstützung über die Grundsicherung sei die Bundesregierung "im März falsch abgebogen", sagte Lutz vor dem Ausschuss. Das Antragsverfahren für die Grundsicherung sei sehr kompliziert. Ein Drittel der Job-Center, so der Petent, würden die vereinfachten Regelungen schlichtweg nicht anwenden. Eine von seinem Verband initiierte Abfrage bei 27.000 Lockdown-geschädigten Solo-Selbständigen habe ergeben, dass 90 Prozent aktuell keine Hartz IV-Leistungen erhalten würden.

Kritik übte der Petent auch an den sogenannten Novemberhilfen. Zum einen könnten diese nicht von allen Solo-Selbstständigen beantragt werden. Es gebe zudem "viele Unsicherheiten bei der Antragstellung", bei der der bürokratische Aufwand "aberwitzig hoch" sei. Bei Fehlern in der Antragstellung drohten zudem Anzeigen wegen Subventionsbetrug.

Lutz forderte für die Zukunft eine staatliche Beteiligung an den Lebenshaltungskosten und eine Übernahme der laufenden Betriebskosten. Die geplante Neustarthilfe sei hier im Grunde der richtige Weg. Allerdings müsse diese Hilfe so ausgestattet werden, "dass sie auch wirklich hilft". Wenn für die Monate von Dezember 2020 bis Juni 2021 einmalig maximal 5.000 Euro ausgezahlt würden, seien dies auf die sieben Monate gerechnet 714 Euro im Monat. "Das reicht einfach nicht", urteilte der Petent und forderte mindestens eine Verdopplung.

Aus Sicht des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie wären Solo-Selbstständige mit einem Betrag von 1.500 Euro monatlich aber schlechter gestellt als über den Weg der Grundsicherung. Schließlich werde so auch die Miete - egal in welcher Höhe - vollständig abgedeckt. Die vom Petenten geschilderten Fälle, wonach eine Antragstellung nicht erfolgreich war oder die Antragsteller aufgefordert wurden, "Vermögenswerte" wie etwa ihre Fotokamera zu veräußern, ehe eine Zahlung bewilligt wird, nannte Bareiß Einzelfälle, in denen das Amt falsch gehandelt habe.

Mit Blick auf den Einwand, der Gang zum Amt sei erniedrigend und die Beantragung kompliziert, verwies der Regierungsvertreter darauf, dass es um sehr viel Steuergeld gehe. Da aber über die Grundsicherung die tatsächlichen Kosten abgedeckt würden, könne er nur sagen: "Der Gang aufs Amt lohnt sich."

Überzeugt hat er den Petenten damit aber offenbar nicht. "Lieber weniger Geld, aber dafür unbürokratischer", sagte Lutz.

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02. Kritik an Entwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt
Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/MWO) Zwei gleichlautende Gesetzentwürfe der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD und der Bundesregierung zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder sowie zwei Gesetzentwürfe und einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen waren Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am Montag. In der von Mechthild Heil (CDU) geleiteten Sitzung nahmen die acht Sachverständigen Stellung zu Vorlagen der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung (19/23707, 19/24901), Entwürfen der Grünen für Gesetze zur Fortbildung der Richterinnen und Richter (19/20541) und zur Stärkung des Kinderschutzes im familiengerichtlichen Verfahren (19/20540) sowie einem Antrag der Grünen zur Präventionsstärkung (19/23676). Über den Gesetzentwurf der Koalition und den Grünen-Antrag hatte der Bundestag in erster Lesung Ende Oktober beraten.

Die Sachverständigen unterstützten das Anliegen, Kinder besser zu schützen. Die geplanten begrifflichen und strafrechtlichen Änderungen trafen jedoch auf deutliche Kritik. Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie der Eberhard Karls Universität Tübingen, war nicht der einzige Experte, der den Regierungsentwurf da ablehnte, wo er einseitig auf Strafrechtsverschärfungen setzt. Die Vorlage entspreche in weiten Bereichen nicht den Anforderungen an eine "evidenzbasierte Kriminalpolitik", zu der sich die Regierungsfraktionen von CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag für die laufende Legislaturperiode bekannt haben, erklärte Kinzig. Bei einer Kriminalpolitik nach den Vorgaben der Boulevardpresse drohe der Verlust des rechtsstaatlichen Kompasses. Stattdessen sollten die Anstrengungen zum Schutz der Kinder auf dem Gebiet der Prävention verstärkt werden.

Kinzig stieß sich wie auch die meisten anderen Sachverständigen an der Einführung des Begriffes der "sexualisierten Gewalt". Dieser könne eine rationale Auslegung des Strafgesetzbuches gefährden und vernebele den eklatanten Unterschied zwischen der Vornahme sexueller Handlungen mit und ohne Anwendung von Gewalt. Julia Bussweiler von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main erklärte, bewährte Prinzipien sollten nicht unnötig einer gesetzgeberischen Umgestaltung unterworfen werden, die zu neuen Auslegungsschwierigkeiten führen könnten. Während der Begriff des sexuellen Missbrauchs mittlerweile etabliert und gesellschaftlich durchgängig negativ besetzt ist, bestehe bei einer Umbenennung des Terminus die nicht zu unterschätzende Gefahr einer irreführenden gesellschaftlichen Bewertung. Die Strafrahmenverschärfung gehe weit über das Ziel hinaus.

Jörg Eisele, Lehrstuhlinhaber an der Universität Tübingen, erklärte, mit dem Titel des Gesetzentwurfs meine der Gesetzgeber, das Unrecht der Taten klarer beschreiben zu können. Damit würden auch solche Delikte, die nicht mit Körperkontakt einhergehen, als sexualisierte Gewalt angesehen. Es handele sich um reine Symbolik, die die tatbestandliche Beschreibung verfehle. Zudem entspreche der Begriff "sexueller Missbrauch" der einschlägigen EU-Richtlinie.

Darauf verwies auch Tatjana Hörnle, Geschäftsführende Direktorin, Abteilung Strafrecht, des Max-Planck-Instituts in Freiburg. Der Gesetzentwurf blende die internationale Diskussion zur angemessenen Terminologie aus. Sie gab zu bedenken, dass durch die Kategorisierung aller Formen der sexuellen Gewalt an Kindern als "sexualisierte Gewalt" die Begriffe verloren gingen, die zur Charakterisierung brutaler körperlicher Attacken erforderlich seien. Besonders verwunderlich sei es, auch Fälle ohne jeden körperlichen Kontakt "Gewalt" zu nennen. Auch das Argument, der Begriff "Missbrauch" sei problematisch, weil er als Gegenbegriff einen straflosen "Gebrauch" von Kindern voraussetze, sei ein Fehlschluss. Tatsächlich sei "sexueller Missbrauch" eine Kurzformel von "Missbrauch von Abhängigkeit und Unterlegenheit für sexuelle Zwecke".

Leonie Steinl vom Deutschen Juristinnenbund (djb) erklärte, die Bezeichnung "sexualisierte Gewalt gegen Kinder" sei in der Sache treffend und spiegele das menschenrechtliche Verständnis von Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung wider. Allerdings sei mit dieser Begriffsänderung auch die Gefahr von Missverständnissen und Unklarheit verbunden, da der Gewaltbegriff im deutschen Strafrecht wesentlich enger verstanden werde als im Völkerrecht und insbesondere im Kontext der Sexualstraftatbestände lediglich körperliche Gewalt impliziere. Sie schlug den Begriff "sexualisierte Übergriffe" vor.

Die Essener Rechtsanwältin Jenny Lederer warnte davor, das Thema zu instrumentalisieren. Zudem eigne sich der Entwurf nicht zur Prävention. Mit dem Begriff "sexualisierte Gewalt" werde Unklarheit geschaffen. Die Heraufstufung des Grundtatbestands des sexuellen Missbrauchs zum Verbrechen lehnte Lederer ab. Dafür fehle eine rationale Begründung, und es gebe auch keine empirische Belege für die Wirksamkeit. Mit Bezug auf die beabsichtigte Pönalisierung des Inverkehrbringens, Erwerbs und vor allem des Besitzens von kindlichen "Sexpuppen" sprach Lederer von einer weiteren Kriminalisierung von Verhaltensweisen, bei denen wissenschaftlich nicht belegt sei, ob und dass es zu hands-on-Delikten kommen wird und die den Anforderungen an den Ultima-Ratio-Grundsatz nicht entspreche. Ähnlich äußerten sich auch Kinzig und Hörnle.

Barbara Stockinger, Co-Vorsitzende des Deutscher Richterbunds (DRB), erklärte, Strafandrohungen allein entfalteten erfahrungsgemäß wenig Abschreckungswirkung. Hinzu komme, dass die Anhebung des Strafrahmens eine massive Mehrbelastung der ohnehin überlasteten Staatsanwaltschaften und Gerichte zur Folge haben werde. Zu begrüßen sei, dass der Entwurf den Ermittlungsbehörden weitergehende Ermittlungsbefugnisse an die Hand gibt. Der DRB bedauere jedoch, dass eine rechtssichere Umsetzung von Mindestspeicherfristen für Verkehrsdaten noch immer nicht erfolgt sei. Damit fehle in der Praxis ein ganz entscheidendes Ermittlungsinstrument, um Fälle von Kinderpornographie und sexualisierter Gewalt gegen Kinder rasch aufzuklären. Darauf wies auch Bussweiler hin.

Franziska Drohsel von der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend verwies auf erhebliche Hürden und Belastungen für Betroffene in Gerichtsverfahren. So sehr einzelne Regelungen begrüßt würden, so sehr sähe ihre Organisation kritisch, dass viele Bereiche, in denen dringender Handlungsbedarf bestehe, nicht neu geregelt würden. Das Gesetzespaket solle daher ergänzt werden durch mehr Opferschutz, die Abschaffung des Begriffs "Kinderpornographie", die Vermittlung von mehr Fachwissen der Richter und Richterinnen im Umgang mit traumatisierten Kindern sowie durch eine Verfahrensverkürzung. Der Begriff "sexueller Missbrauch" sollte nicht mehr verwendet werden, sagte Drohsel, die den Regierungsentwurf grundsätzlich begrüßte.

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